![]() |
Umstrittener Wahlsieger: Enrique Peña Nieto ist neuer Präsident von 115 Millionen Mexikanern. (© AP)
|
Er ist jung, ein telegener Schönling - aber seine Partei gilt als Inbegriff von Betrug und Korruption: Dennoch will Mexikos neuer Präsident Enrique Peña Nieto mit der Institutionellen Partei der Revolution (PRI) eine demokratische Ära im Land einläuten. Kritiker sind von der Wahl entsetzt. Der Partei werden gute Kontakte zu Drogenbossen nachgesagt.
Die Nacht hatte sich über Mexiko gesenkt, da fragte sich das Land, ob es
nun in der Zukunft oder in der Vergangenheit gelandet war. Am späten
Sonntagabend stand fest, dass Enrique Peña Nieto
Präsident von 115 Millionen Mexikanern wird. Es gewann ein junger und
telegener Politiker die Wahl; der Sieger ist erst knapp 46 und sieht
blendend aus.
Mit ihm kehrt aber auch die sogenannte Institutionelle Partei der
Revolution (PRI) zurück, ein sperriges Relikt der Geschichte. 71 Jahre
lang hatte die korruptionsfreudige PRI wie ein Staatskartell regiert,
bis sie 2000 von der Unternehmerpartei PAN bezwungen wurde. Zwölf Jahre
nach ihrem Sturz ist sie wieder da. "Die Wähler haben uns eine zweite
Gelegenheit gegeben", sagte Peña Nieto mit seinem gewohnten Dauergrinsen
und versprach den Landsleuten im Drogenkrieg "eine neue Strategie".
Am 1. Dezember übernimmt der neue Mann aus der alten PRI das Desaster von Amtsinhaber Felipe Calderón.
Der scheidende Staatschef hinterlässt eine katastrophale Bilanz. Zwar
wurden manche Institutionen modernisiert, doch Arbeitslosigkeit und
Armut nahmen zu.
Was ihm aber vor allem vorgeworfen wird: Er bietet seit 2006
die Armee gegen die Drogenkartelle auf, mit der Folge eines grausigen
Kriegs. Mindestens 60.000 Menschen wurden in den vergangenen sechs
Jahren ermordet, 10.000 werden vermisst. Die Mafia hat Dörfer entvölkert
und kontrolliert ganze Bundesstaaten.
Kritiker sind vom Comeback der Partei entsetzt
Da wollte eine knappe Mehrheit der Mexikaner lieber die PRI
zurück, unter ihrer Herrschaft war es ruhiger im Land. "In einem Klima
von Frieden und Ruhe" sei gewählt worden, übertrieb Calderón in einer
Fernsehansprache am Sonntag. Zumindest ist diesmal, anders als vor sechs
Jahren, klar, wer gewonnen hat.
Damals wurde monatelang um den Wahlausgang gestritten. Der
mutmaßliche Verlierer Andrés Manuel López Obrador versammelte
Hunderttausende Anhänger, seine hauchdünne Niederlage gegen Calderón ist
bis heute umstritten. Diesmal bekamen der konservative Favorit Peña
Nieto ungefähr 37 Prozent und der linke Herausforderer López Obrador 33
Prozent der Stimmen.
Anerkennen wollte López Obrador das vorläufige Ergebnis noch
nicht, blieb aber vergleichsweise zurückhaltend. Der frühere
Bürgermeister von Mexiko-Stadt klagte nur über Benachteiligungen bei der
Wahl. "Sie wissen, dass es nicht die Gerechtigkeit gab, die von der
Verfassung vorgesehen ist", sagte er.
Tatsächlich profitierte Peña Nieto von einem gewaltigen
Machtapparat. Die PRI entstand als Staatspartei nach der mexikanischen
Revolution vor mehr als 80 Jahren und hat ihre Basis in ländlichen
Gegenden. Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa nannte das PRI-Regime
einst "die perfekte Diktatur", noch immer ist von Stimmenkauf die Rede.
Gefördert wird Peña Nieto obendrein vom Fernsehkonzern
Televisa, dem zweitgrößten Medienunternehmen Lateinamerikas. Die
Traumfabrik berieselt zwei Drittel aller Haushalte Mexikos und
verwandelte Peña Nietos Auftritte zur Seifenoper. Seine Frau Angélica
Rivera wurde in einer Telenovela als La Gaviota bekannt, die Möwe. Die
PRI gilt als Inbegriff von Betrug, Vetternwirtschaft und Bestechung.
Ihre Veteranen werden als "Dinosaurier" bezeichnet. Kritiker sind von
dem Comeback entsetzt.
Nieto verspricht, er wolle die Demokratie im Land voranbringen
Zehntausende Studenten schlossen sich zu einer
Widerstandsbewegung zusammen und zeigten auch am Wahltag Missbrauch an.
In Mexikos Kinos läuft derzeit ein gruseliger Film über den früheren
PRI-Präsidentschaftsbewerber Luis Donaldo Colosio, der 1994 mutmaßlich
im Auftrag seiner Parteiclique in Tijuana erschossen wurde.
Strahlemann Peña Nieto dagegen sagt: "Wir werden dieses Land weiter
in Demokratie aufbauen. Wir sind eine neue Generation. Es gibt keine
Rückkehr in die Vergangenheit." Der Kampf gegen das Verbrechen gehe
weiter - mit anderer Taktik. "Gegen die organisierte Kriminalität gibt
es weder einen Pakt noch einen Waffenstillstand."
Was das bedeutet, darauf hatte der vormalige Gouverneur des
Bundesstaats Mexiko im Wahlkampf nur in Ansätzen hingewiesen. Eine neue
Polizeieinheit will er gründen. Als Berater verpflichtete Peña Nieto
Kolumbiens ehemaligen Polizeichef Óscar Naranjo, unter dessen Leitung
1993 der kolumbianische Kokainkönig Pablo Escobar auf einem Hausdach in
Medellín erschossen wurde.
Die USA hatten verstört auf Gerüchte reagiert, dass die PRI die
Streitkräfte aus dem Gefecht mit den Drogenkartellen abziehen wolle und
mit den Kriminellen verhandelt. Washington unterstützt die Schlacht und
leistet Militärhilfe.
Unter Calderón hat sich die Zahl der rivalisierenden Kartelle
auf mindestens acht verdoppelt. Besonders mächtig wurden die
Sinaloa-Gang des mythenumwobenen Paten Joaquín alias "El Chapo" Guzmán
und deren Todfeinde namens Los Zetas, gegründet von Elitesoldaten.
Guzmán brach 2001 mühelos aus einem Hochsicherheitsgefängnis aus und ist
seit dem Tod von Osama bin Laden der meistgesuchte Kriminelle der Welt.
Es heißt, die Partei habe gute Kontakte zu den Paten
Die Banden kämpfen besonders um die Routen Richtung USA und um
strategische Städte wie Ciudad Juárez, Guadalajara und Monterrey. Ihre
Geschäfte haben die Gangs längst auf Menschenhandel, Piraterie und
legale Unternehmen ausgeweitet. Politik, Justiz und Polizei sind von
ihnen unterwandert.
Der PRI werden traditionell gute Kontakte zu den Paten
nachgesagt, mehrere ihrer Funktionäre stehen unter Anklage oder
Verdacht. Trotzdem eroberte die PRI am Sonntag weitere
Gouverneursposten, zu den wenigen Hochburgen der Konkurrenz gehört noch
die linke Metropole Mexiko-Stadt.
Dringend nötige Reformen hatte die PRI als Opposition im Parlament blockiert, als Präsident stellt Enrique Peña Nieto
nun aber "eine neue Etappe der Abkommen" in Aussicht. "Wir werden eine
freie Marktwirtschaft antreiben, aber mit sozialer Gerechtigkeit, gegen
die Ungleichheit und für Arbeitsplätze." Peña Nieto pries in seiner Rede
sogar die Studenten, die ihn für eine Marionette halten. Er sagte:
"Ganz Mexiko hat gewonnen."
Felipe Calderón muss ihm also in fünf Monaten seinen Platz im Amtssitz Los Pinos räumen. Die Washington Post berichtet, Calderón wolle Mexiko nach dem Ende seines Mandats verlassen - die Heimat sei ihm zu gefährlich geworden.
Source: Süddeutsche.de
No comments:
Post a Comment